Von Andreas Schell am 09. Februar 2017:
Sie wählen, egal ob sie Merkel oder Schulz ankreuzen,
mehrheitlich das nachfolgende Programm:
- Nibelungentreue zur EU, auch wenn die im größten Teil Europas skeptisch gesehen wird und sichtbare Auflösungserscheinungen
zeigt. Zu der EU, in der Lobbyismus und Korruption in erster Linie zu lukrativer Selbstbeschäftigung und Postenschacherei führt. Zu der EU, in die unsere deutsche Wirtschaft die deutsche Arbeitslosigkeit exportiert hat, indem sie Arbeit billiger als
sonst wo gemacht hat. Zu der EU, die deshalb zu recht frustriert ist.
- Nibelungentreue zur NATO, auch wenn die per Ost-Erweiterung und massiver
Aufrüstung an der russischen Grenze vor unseren sehenden Augen mit dem Frieden zündelt. Zu der NATO, die auf der ganzen
Welt Krieg führt. Zu der NATO, die noch nie irgendwo Sicherheit und Demokratie geschaffen hat, sondern stets das Gegenteil.
In anderen Zusammenhängen nennt man so etwas systembedingtes Totalversagen, aber die NATO ist trotzdem heilig.
- Nibelungentreue zur deutschen Rüstungsindustrie, auch wenn mit deutschen Waffen und deutscher Munition auf dieser
Welt täglich unübersehbar Menschen zerfetzt werden. Wir exportieren, auch wenn in der direkten Folge bewaffneter Konflikte völlig
zu Recht die Völkerwanderung eingesetzt hat. Krieg muss sein und braucht Material. Was sollen die denn machen, wenn der Nachschub stockt?
- Nibelungentreue zur deutschen Automobilindustrie, die täglich Tausende von Öl verbrauchenden Stahlblasen herstellt, ohne den geringsten Gedanken daran zu verschwenden, dass es weltweit nur schrumpfende Ölvorräte gibt. Ohne daran zu denken, dass in allen großen Öl-
Förderländern die politische Lage alles andere als stabil ist. Ohne daran zu denken,
dass es in Westeuropa überhaupt kein Öl gibt. Ohne daran zu denken, dass es angesichts der
weltweiten Energiekrise nicht mehr zeitgemäß ist, regelmäßig zur Beförderung des eigenen Körpers "just for fun" zwei Tonnen Stahl und Kunststoff zu bewegen.
- Nibelungentreue zur Pharmaindustrie, die flächendeckend kassiert, statt zu heilen. Das Ziel sind die 15 Euro für das winzige
Tübchen Salbe bei 99% Marge, nicht die
Wirksamkeit.
- Nibelungentreue zum Medienapparat, in dem nur die Meinung eines verschwindend kleinen Personenkreises als offizielle
Wahrheit gilt und alles andere Verschwörung, Populismus und Fake ist. Zu einem Medienapparat, der uns gerade die Wahl zwischen zwei in allen Punkten
austauschbaren Kandidaten als Wahlkampf verkauft.
- Nibelungentreue zum Finanz- und Bankensystem, das per Geldschöpfung und Zinsmechanismus Reiche reicher und Arme ärmer macht, was zur Entwertung der Alterssicherungen und zur Enteignung eines
Großteils der Bevölkerung führen wird. Zu einem Finanzsystem, das uns alle durch ungebremste Vermehrung von Geld
angesichts schrumpfender Rohstoffvorräte in eine ökonomische und ökologische Katastrophe führen wird.
- Nibelungentreue zu den Reichen. Die sollen Ihr Vermögen behalten und vermehren. Die Frage, wie sie es erwirtschaftet haben, führt
auf den irreführenden Begriff "Elite". Es gibt eben einfach Menschen, die sich das tausend- bis millionenfache verdient haben, und weil
sie das haben auch noch mehr bekommen müssen. Oder?
- Nibelungentreue zu einem Schulwesen, das unkritische Bürger produziert, die zur Hälfte zu nicht mehr befähigt werden, als ein abhängig-beschäftigter-Verbraucher im Billiglohnsegment zu sein.Die andere Hälfte wird sich später ab und an fragen, wieso sich das geerbte Kleinstvermögen auflöst, statt sich, wie bei anderen, ohne Wertschöpfung zu vermehren. Wieso sie, trotz guter Noten,
keiner der Unbekannten im Golfclub als Führungskräfte einstellt. Wieso ihr Investor oder Eigentümer so geizig ist und wieso sie eigentlich so wenig Geld verdienen. Wieso sie als Paar so viel für den Reichtum anderer arbeiten müssen, statt sich gegenseitig zu unterstützen. Wieso sie keine Zeit für ihre Kinder und trotz alledem keine Ersparnisse haben.
Die Antwort auf all die Fragen, die die Jugend nicht stellt, und für die sich die Rentner nicht interessieren, wird die nächste schwarz-rot- grün- gelbe Einheitsregierung nicht geben, weil "weiter so" ihr Auftrag ist. Eine der beiden Kanzlergestalten wird's dann wohl werden. Es läuft ja alles!
Nicht der Flug und nicht der Fall sind indes das Problem, sondern der Aufschlag. Keine Partei am Start, die ansatzweise über eine kontrollierte Landung nachdenkt.
Konzepte gibt's für alles, nur sicher nicht bei Schulz-Merkel.
Good bye England! - Guten Morgen Deutschland
Autor: U. Gellermann
Datum: 24. Juni 2016
Von allen öffentlichen Lippen tropft, nach dem Brexit, eine neue Europäsche Union: Jetzt müsse sie aber sozialer werden, jetzt müsse man aber den kleinen Leuten mal den Sinn der EU erklären, jetzt müssen man aber mal die EU besser machen. Besser für wen? Für die Griechen, die von der EU in Hunger und Selbstmord getrieben wurden? Für die Spanier oder Portugiesen, deren Jugend ohne Zukunft ist? Für die Balten, die in Massen ihre Länder verlassen und vor dem neoliberalen Würgegriff in andere Länder fliehen? Für die Deutschen, denen aus dem Thatcher-Blair-England die Agenda 2010 importiert wurde? Für die Ukrainer, die man mit der Schimäre eines besseren EU-Lebens in einen Konflikt mit Russland gezwungen hat?
Der Brexit sei traurig, belehrt uns der Außenmeier, die Silberlocke auf dem Kopf der übergroßen Koalition. Todtraurig für die Hartz Vierer, die jetzt nicht mehr mal eben nach London jetten können? Beklagenswert für die Frauen an den Supermarktkassen, deren private Pfund-Sterling-Reserven nun entwertet werden? Trostlos für die deutschen Hooligans, denen die Reise zu einer ordentlichen Prügelei in Manchester bald erschwert sein wird? Nein. Deprimierend wird es für die deutsche Waffenindustrie, die Handelserschwernisse fürchtet, denn immerhin hatte sie im ersten Halbjahr 2015 bereits für 1,5 Milliarden Rüstungsdreck an das Vereinigte Königreich verkauft. Hoffnungslos für die Finanzbanker, deren ständige Boni-Erhöhungen in der Londoner City vorgelebt und zur Nachahmung empfohlen wurden. Erschreckend für alle Atlantiker, denn Großbritannien war und ist der treueste europäische Partner in allen Kriegen der USA.
Es seien mehr als 2.500 deutsche Unternehmen, die Niederlassungen in Großbritannien hätten, barmt die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG. An die über 5.000 deutschen Unternehmen in Russland, deren Existenz durch EU-Sanktionen gefährdet wurden, hat man jüngst noch kaum einen Gedanken verschwendet. Etwa die selbe Zahl an Unternehmen existiert in China. Müssen Russland und China jetzt schnell in die EU, um die englische Lücke zu schließen? Und weiter denkt die SÜDDEUTSCHE über die Kosten nach, die jetzt auf „uns“ zukommen: Denn die Briten haben bisher „knapp fünf Milliarden Euro Netto pro Jahr aufgebracht. Fällt ihr Beitrag weg, wird Deutschland den Löwen-Anteil übernehmen müssen.“ Ach, ja, wer sagt das? Die Leute, die seit Jahr und Tag ihren Export über „unsere“ EU-Zuschüsse finanzieren. - Eine große Welle der Traurigkeit soll über das Land schwappen, damit „wir“ uns den Kopf der Unternehmer und ihrer Polit-Bürokratie in deutschen und europäischen Ämtern zerbrechen. Es gibt kein wir, es gibt nur die oder uns.
Aber es sind doch die Rechten, die Gaulands, die LePens, die Straches, die das Ende der Europäischen Union fordern, referiert der Mainstream schaudernd. Stimmt. Dankend haben die Rechten den Platz einer europäische Linken eingenommen, die wie Gregor Gysi die Einordnung der EU als eine “neoliberale, militaristische und weithin undemokratische Macht" nicht unterschreiben wollte, die mit der EU äugelte, statt sie infrage zustellen. Es sind jene Linke, die schon das Wort „Nation“ für einen Nazi-Begriff halten und kokett mit dem Begriff „Anti-Deutsch“ im selben Bett wie die USA liegen. Als wäre die Nation nicht einfach existent, wie das Wetter existiert und auch die Schwerkraft. Als wäre die Nation eine Frage von Wollen und Mögen. Und nicht ein Frage von Machen und Tun.
In den nächsten Tagen und Wochen wird ein Gewitter scheinbar guter Ratschläge zur Rettung der EU über uns hereinbrechen. Wir sollen uns den Kopf der EU-Profiteure zerbrechen und ja nicht auf andere, eigene Gedanken kommen. Zum Beispiel auf den, dass die Europäische Union im Fall Ukraine zum Kriegsprojekt geworden ist. Zum NATO-Vorfeld. Zum trojanischen Pferd der USA. Wer nicht die Kraft hat, diese Europäische Union radikal zu ändern, der sollte aus ihr fliehen. Guten Morgen Deutschland.
Merkels Krieg
Die Deutschen werden nun endgültig zur Kriegspartei in diesem Konflikt ohne Hoffnung. Bisher hatte Deutschland sich weitgehend herausgehalten. Nicht aus Feigheit, sondern aus Vernunft. Es gibt hier keinen Ausweg. Zu viele Seiten verfolgen zu viele gegensätzliche Interessen. Wer will noch mal, wer hat noch nicht.
In Syrien kämpfen im Moment – ohne Anspruch auf Vollständigkeit: die USA, Kanada, Großbritannien, Frankreich,
Russland, die Vereinigten Arabischen Emirate, Katar, Saudi-Arabien, Bahrain, Jordanien, die Nusra-Front, die Türkei, Hisbollah, Iran, die „Freie Syrische Armee“, mehrere kurdische Gruppen, die Syrische Armee und natürlich der „Islamische Staat“. In Syrien ist immer ein Platz frei.
Jetzt auch für die Deutschen.
Freundschaft verpflichtet nicht zur Torheit. Und dieser Krieg ist töricht. Was wir in Syrien bekämpfen wollen, erzeugen wir selbst: Flüchtlinge und Terror. Krieg erzeugt nur Krieg. Dass dieser Krieg aus der Luft gewonnen werden kann, glaubt niemand. Niemand weiß aber, wer ihn am Boden auskämpfen soll. Die Truppen des syrischen Regimes würde man schon nehmen. Aber bitte ohne ihren Anführer Assad. Merke: Nenne niemanden zu früh einen Fassbombenmörder, den du später vielleicht noch brauchst.
Deutschland wird erst mit diesen Flugzeugen zur Kriegspartei. Und natürlich erhöht diese Beteiligung am Krieg in Syrien die Terrorgefahr in Deutschland. Aber das ist ein verbotener Gedanke. Wer ihn äußert, ist feige, will sich verstecken, den Kopf in den Sand stecken. Vielleicht wären die Angehörigen der Toten von Paris froh, wenn ihr Land sich nicht in diesen sinnlosen syrischen Krieg gemischt hätte.
Quelle: Jakob Augstein auf SPIEGEL Online
4. Dezember 2015 um 14:09 Uhr
PS: In Syrien sterben jeden Tag mehr unschuldige Zivilisten als am Tag des Attentates in Paris. Aber das interessiert ja niemand....
Wieder einmal in den Krieg. Auf nach Syrien!
Bis vor Kurzem war ich ein historischer Optimist, einer, der, wenn auch nur vorsichtig, daran glaubte, dass sich die Menschheit weiterentwickeln werde, langsam, tapsend, aber dass es letztendlich doch vorangehe mit der Zivilisation, moralisch, politisch, und dass der Mensch friedlicher werde, das vor allem. Diese Zuversicht habe ich verloren. Schuld daran sind– die Liste ist natürlich unvollständig – François Hollande, Sigmar Gabriel, Ursula von der Leyen, Angela Merkel, Wladimir Putin, aber auch Barack Obama, ja, gerade auch er, der Herr über die Drohnen, die in vielen Ländern morden. Und natürlich auch die Despoten im Nahen Osten und den afrikanisch-arabischen Ländern, auch die religiösen Fanatiker weltweit, aber das muss wohl nicht extra erwähnt werden.
1914 begann ein Zeitalter der Extreme: Mehr Menschen als je zuvor wurden im 20. Jahrhundert in Kriegen abgeschlachtet – und jetzt, ziemlich genau hundert Jahre nach dem Auftakt zum globalen Völkermorden, 2015, sieht es so aus, als ob die Menschheit aus ihrer blutigen Geschichte wenig gelernt habe. Nein: nichts.
François Hollande, der französische Staatspräsident, agiert seit den Terroranschlägen auf Paris vom 13. November wie ein Wiedergänger von US-Präsident George W. Bush, dem Erfinder des „weltweiten Kriegs gegen den Terror“ und Herrn der Irak- und Afghanistankriege. Was der in seinem messianischen Furor angerichtet hat, ist bekannt. Kriege, die gescheitert sind, die Hunderttausende von Toten, Millionen von Verletzten, Verstümmelten und Vertriebenen produziert haben. Die nichts erreichten und nicht gewonnen wurden, militärisch nicht und politisch nicht. Und die außer dem Leid, das sie erzeugten, auch noch das Gegenteil von dem brachten, was geplant war: Diktatorische Regime wurden zwar hinweggefegt, man liquidierte Saddam Hussein, erschoss Bin Laden, erledigte Gadhafi" – das Böse ist tot, aber statt Freiheit und Demokratie kam die Finsternis, das noch brutalere terroristische Chaos. Die Anti-Terror-Kriege schufen jene Monster, auch die Mörder des „Islamischen Staates“ (IS), denen man nun glaubt, mit noch mehr Bomben beikommen zu können. Aber jede Bombe, jeder Drohnenangriff, die so oft Unschuldige treffen, schüren den Hass auf den Westen. Ewiger Krieg für ewigen Frieden. Und Deutschland macht nun mit. In rasender Geschwindigkeit wurde der Syrien-Einsatz von der Regierung beschlossen, im Schnellverfahren durch das Parlament abgenickt. Obwohl es keine rationale Ho!Hoffnung gibt, dass die Schlacht gegen die IS-Terrormilizen zu gewinnen ist. Es gibt kein Konzept. Keine klaren Ziele. Keine
Exit-Strategie, nichts.
Es ist atemraubend, wie sich das Koordinatensystem hierzulande in Sachen Militäreinsätze in den vergangenen 25 Jahren verändert hat. Am Anfang, in den frühen Neunzigern des vorigen Jahrhunderts, zog man noch fast verschämt ins Feld – mit Sanitätssoldaten. Dann, in den Jugoslawienkriegen, wurde der Kampfeinsatz, um die kriegsskeptische Bevölkerung zu überzeugen, moralisch überhöht: „Ein neues Auschwitz“ müsse man verhindern. Später ging es um „humanitäre Interventionen“, also um das Gute, und man mühte sich stets,was meist nicht klappte, um völkerrechtliche Absicherungen der Einsätze. Das ist jetzt mit dem Syrien-Einsatz vorbei. Jetzt rückt man ganz rasch aus – auch ohne UN-Mandat, man bemüht sich nicht einmal mehr darum. Eine historische Zäsur: Die Kultur der militärischen Zurückhaltung, die eine Lehre aus dem Zweiten Weltkrieg und Wesensmerkmal Deutschlands war, sie ist nun entsorgt. Auf zu einem neuen Kreuzzug, auf nach Syrien! In ein Land, in dem es keine klaren Fronten gibt, man nicht weiß, wer heute noch Freund, morgen schon Feind ist. Wo seit Jahren immer neue Kombattanten auftreten, wo nach Einschätzung von Verteidigungsministerin von der Leyen rund 1000 Gruppen kämpfen, wo ein Stellvertreterkrieg tobt, der von vielen Mächten und Interessen befeuert wird – von Iran, Irak, Türkei, Saudi-Arabien, Jordanien, Milizionären der Hisbollah, diversen kurdischen Einheiten, Katar und vor allem: Russland und den USA. Militärisch ist dieser Krieg nicht zu gewinnen. Das sagen und wissen alle.
Nur: Keiner kümmert sich um diese Einsicht. Zuschlagen, das ist die Botschaft, egal, wie grauenvoll das für die Bevölkerung dort ist. Es ist zum Verzweifeln.
Ein schwacher Präsident, François Hollande, der um seine Wiederwahl bangt, Angst vor dem Front National mit seiner Führerin Marine Le Pen hat, macht aus den kriminellen Taten einiger Vorstadtbewohner „Kriegsakte“. Hollande will Präsident bleiben. Deshalb reagiert er auf die vom IS inspirierten Anschläge wie ein mittelalterlicher Clanführer: mit wütender Vergeltung. Er hofft, dass ihm Bomben bringen, was er nicht hat, aber zum Gewinnen von Wahlen so wichtig ist: Respekt.
Dafür nimmt er die gesamte EU in Geiselhaft, er kramt aus dem EU-Vertrag eine Beistandsklausel hervor, den Artikel 42, Absatz 7, den bis vor Kurzem kaum einer kannte: „Im Falle eines bewaffneten Angriffs auf das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats schulden alle anderen Mitgliedstaaten ihm alle in ihrer Macht stehende Hilfe und Unterstützung.“ Statt Präsident Hollande zum Nachdenken aufzufordern, etwa, wie es kommen kann, dass junge Bürger sich zu solcher Barbarei verführen lassen, bekam er sofort Unterstützung von Bundespräsident Joachim Gauck: „Aus unserem Zorn über die Mörder müssen Entschlossenheit und Verteidigungsbereitschaft werden.“ Nochmals, weil es so unfassbar ist: Da begehen junge, deklassierte, nicht integrierte Europäer, vorwiegend aus den Banlieues von Paris und Brüssel, fürchterliche Anschläge – und deswegen ziehen nun EU-Staaten in den Krieg. Die Logik? Keine. Oder doch: Machtlogik. Darum geht es. Dass die Sache für den Westen nicht gut ausgehen kann, für die Menschen vor Ort schon gar nicht, zeigen seine Verbündeten in der Region.
Da ist Saudi-Arabien: ein autoritärer Gottesstaat, der von der westlichen Politik und Wirtschaft hofiert wird. Saudi-Arabien hat gerade Indien als größten Waffen- importeur der Welt abgelöst, ein aggressiver Staat, der einen brutalen Krieg gegen den Jemen führt. Dieser Verbündete erzeugt, was man bekämpfen will: Terror und Terroristen. Aber das wird verdrängt. Der christsoziale bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer, der Waffenexporte in diesen Unstaat befürwortet, war im Frühjahr bei den Herrschern in Riad, Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel war ebenfalls dort.
Moral? Es geht um Geld. Im vergangenen Jahr betrug der Export deutscher Waren nach Saudi-Arabien fast neun Milliarden Euro, zwischen 2001 und 2014 wurden aus Deutschland an den Gottesstaat Kleinwaffen, Panzerteile, Kriegsschiffe, Munition im Wert von 2,6 Milliarden Euro exportiert, Waffen in einen Staat, der die Menschenrechte missachtet, in dem die Scharia herrscht, der Häftlinge auspeitschen lässt, Hände oder Köpfe abhackt (wie der IS), Frauen kaum Rechte überlässt, Kirchen und Synagogen verbietet, für die westlichen Werte nur Hohn übrig hat. Schlimmer noch: Dieses Königreich der Unterdrückung exportiert seit vielen Jahrzehnten mit seinen Petro-Dollars einen rückwärtsgewandten, aggressiven Islam in die ganze Welt – und hat damit die ideologische Grundlage für die Fanatiker des IS geschaffen. Solange Saudi-Arabien (dank Unterstützung der USA) agieren darf, wie es agiert, wird es keinen Frieden geben im Nahen Osten. Zwar hat das Königreich jetzt zum Kampf gegen den IS aufgerufen, wer aber wirklich Frieden will, muss dafür sorgen, dass die Hetzer aus Saudi-Arabien aufhören, Religionskrieger mit Geld und Waffen zu unterstützen. Und auch wichtig, auch wegen der politischen Hygiene: Deutschland muss aufhören, diese Brandstifter mit Waffen für ihre Taten zu versorgen. Im ersten halben Jahr 2015 segnete Gabriel Rüstungsexporte im Wert von 145 Millionen Euro ab. Wenn er nun das Land kritisiert: Kann man ihn ernst nehmen? Wohl kaum.
Da ist Katar: ebenfalls ein autoritärer Gottesstaat, der Al-Qaida-Kräfte unterstützt hat und der nach Meinung des Entwicklungshilfeministers Gerd Müller (CSU) den IS mitfinanziert – und ebenfalls ein guter Kunde bei deutschen Waffenherstellern ist. Wer wirklich Frieden will, kann keine Waffen in einen Staat liefern, von dem man nicht weiß, wohin er sie weitergibt.
Aber dass die arabischen Öl-Staaten von Berlin wirklich ermahnt werden, ist nicht zu erwarten. Ein Grund: Arabische Investoren, so die „FAZ“ vor ein paar Tagen, gehören zum deutschen „kapitalistischen Inventar“. Katar ist mit 17 Prozent der Anteile Großaktionär bei Volkswagen, bei Hochtief mischen Araber mit, und auch die Deutsche Bank ist zum Teil arabisch.
Und da ist die Türkei: mit ihrem immer autoritärer agierenden Präsidenten Recep Erdogan, einem zynischen Akteur, der von Kanzlerin Angela Merkel hofiert wird und der gerade dabei ist, die schwache türkische Demokratie endgültig zu erledigen. Der die Kurden, die den einzig echten Widerstand gegen den IS darstellen, bombardiert (und damit Flüchtlinge schafft, die nach Deutschland wollen), der Journalisten in den Kerker wirft, weil sie recherchieren, wie eng die Beziehung der türkischen Regierung zum IS ist und wie Waffen über die Türkei zu den IS-Milizen kommen, wie und mit wem und zu wessen Vorteil mit Öl gehandelt wird. Den Politikern in Berlin ist klar, dass der IS-Terror entscheidend geschwächt werden könnte, wenn endlich die türkische Grenze nach Syrien für die IS-Kämpfer und den militärischen Nachschub geschlossen würde. Aber dazu hört man nichts. Wer wirklich Frieden will, muss die Türkei, die ja Nato- Mitglied ist und überdies in die EU möchte, dazu zwingen. Aber alle kuschen vor Erdogan.
Jeder Krieg ist schmutzig. Aber pervers ist, welche Verbündeten man in diesem Kampf akzeptiert und wie groß die politische Heuchelei ist. Solange die Täter die besten Geschäftsfreunde sind, gibt es keinen Frieden. Fatal überdies ist, dass dieser Einsatz das Zeug zum großen Flächenbrand hat. Amerika und Russland agieren mit eigenen Soldaten und Kriegswaffen auf engstem Raum, so etwas gab es noch nie. Und sie haben die unterschiedlichsten Interessen, sie belauern sich. Wenn eine verirrte russische Rakete einen US-Militärtransporter vom Himmel holt – was dann? Kommt dann der Nato-Bündnisfall? In diesem Einsatz steckt das Potenzial für das bisher Undenkbare: den Dritten Weltkrieg.
Aber das scheint die Verantwortlichen nicht zu kümmern. Wie Schlafwandler, schrieb der Historiker Christopher Clark, taumelten 1914 die Politiker in die Katastrophe. 100 Jahre später schlafwandeln sie wieder.
Arno Luik (Stern)
Im Namen der Freiheit und Demokratie:
Die EU, die kein Staat ist und keine eigenständige Souveränität besitzt, sondern nur der „institutionelle Rahmen“ einer Wirtschaftsunion ist, hat sich schon soweit pervertiert und von ihren eigenen Regeln entfernt, dass sie sich als souveräner Staat und Partner der Kriegsnation USA wähnt.
Die EU (wer eigentlich spricht offiziell für die EU?) verlangt jetzt, dass Russland seine Unterstützung für das Assad-Regime aufgibt und die kriegerische Waffengang-Opposition gegen Assad duldet. Das bedeutet, dass die EU sich auf die Seite der Staatsfeinde Syriens stellt. Das heißt auch, dass die EU sich für eine antidemokratische Revolutionsvariante entschieden hat - statt für Demokratie, für Recht und Verfassungskonformität.
Assad ist mal mit großer Mehrheit vom Volk gewählt worden. Warum also soll er zurücktreten? Wer entscheidet in der Welt darüber, ob ein gewählter Staatschef sein Amt behalten darf oder freiwillig aufgeben soll? Die EU? Die USA? Assad war und wird der einzige Ruhepol und Stabilitätsfaktor im Nahen Osten sein, obwohl die USA und ihre Saudi-Follower alles daran setzen, den Nahen Osten komplett zu zerstören. Die Saudis erhoffen sich davon ein islamisches Weltreich ihrer Farbe, die USA erhoffen sich davon einen Zugriff auf alle Ölquellen und letztlich die Ablösung der Saudi-Herrscher. Die Zustände im Nahen Osten gehören in die Mottenkiste des frühen europäischen Mittelalters, wo jede Region mit Raubrittern dem Nachbarn alles weggenommen hatte um alleine dominieren zu können.
Diese absolutistische Dominanz-Politik der USA ist nicht nur komplett daneben, sie ist verwerflich und unangemessen, anti-UN, Anti-US-Verfassung, Anti-Weltbevölkerung. Die USA sind auf dem Weg, die Welt kriegerisch in Stücke zu bomben, weil sie angeblich das auserwählte Volk und der exzeptionelle Staat sind, der die Welt alleine beherrschen und deswegen Millionen Tote produzieren darf.
Dieser kriminellen Dominanz hat sich die EU ebenso verschrieben. Sie geriert sich als europäisches Pendant zur USA, völlig vergessen, dass sie selbst nur ein total abhängiger, geduldeter Vasall der USA ist.
Beide Administrationen (USA und EU) haben sich vordergründig für demokratische Prinzipien ausgesprochen und in ihren grundrechtlichen Texten zur absoluten Befolgung der Law-of-Nations, also der Charta der Vereinten Nationen, also der global gültigen Menschenrechts-Normen ausgesprochen. Ist also die Befehlung zum Rücktritt eines ordentlich gewählten Präsidenten damit in Einklang zu bringen? Nein.
Hier wird Recht und Gesetz mit Waffengewalt pervertiert.
Die Frage muss erlaubt sein, seit wann und wieso die EU als rein wirtschaftlicher Zusammenschluss weltpolitische Infiltration betreiben darf und seit wann die EU die Bevölkerung ihrer Mitgliedsländer in kriegerische Auseinandersetzungen hineinziehen darf. Die Frage ist auch, wieso die EU überhaupt sich um solche Fragen kümmert und ungefragt politische Statements hinsichtlich Regionen und Staaten abgibt, mit denen die EU nichts zu tun hat.
Selbst ein erweitertes Europa hat mit Syrien nichts am Hut. Es geht die EU nichts an, was in einem ordentlich administrierten Land im Mittleren Osten passiert. Oder ist die EU doch nur der verlängerte Arm einer kriegslüsternen und hegemonialen USA, die den Nahen Osten als Raubobjekt deklarierten, um an die Ölquellen zu gelangen und in diesem Umfeld die EU als Vasallen-Projekt der USA mit einbeziehen? Wenn die EU also durch die Hochkommissarin (der Begriff stammt aus Kolonialzeiten!) fordert, dass die größte Nation der Welt (Russland) sich fernhalten soll von partnerschaftlicher Unterstützung eines in Gefahr geratenen Staatschefs und gleichzeitig fordert, dass die Staats- Umstürzler in Ruhe gelassen werden sollen, dann sprengen diese Forderungen jede Art der Diplomatie, Regierungsmacht, Law-of- Nations und Anstand. Dann fordert die EU die Anarchie im Namen aller Mitgliedsländer.
Hinzuzufügen wäre noch, dass in der politischen Elite der USA ganz offen -vor laufender Kamera- ihre Ansicht über die EU aussprechen: es gibt keine EU, heißt es da, es gibt nur Nationalstaaten. „Fuck the EU“, dieser Satz einer amerikanischen Dame kennen wir alle. Erst im Zuge der ersten Zuwanderungswelle, die ja noch immer andauert, und mit dem einhergehenden Brechen von Verträgen, ging vielen Menschen im Land auf, dass da etwas nicht stimmt.
Selbst bis dahin politisch unkritischen Zeitgenossen wurde klar, dass in der EU nichts, aber auch gar nichts für sie in Ordnung ist. Und es werden täglich mehr. Die Masse aber, salopp ausgedrückt „Otto Normaverbraucher“, versteht die Welt nicht mehr. Die USA sind doch die Guten, Russland der Aggressor. So wird es Abend für Abend im Fernsehen verkündet, so schreibt es auch täglich noch das unbedeutenste Provinzkäseblatt, gerne auch mal Heimatzeitung genannt.
Diese Dauerberieselung einseitiger Berichterstattung mit vorgefertigter Meinung verfehlt ihre Wirkung auf schlichte Gemüter natürlich nicht. Und so, fürchte ich, wird die Rechnung der USA vermutlich aufgehen. Jedenfalls mit Blick auf Europa.
Die Frage, die ich mir immer wieder stelle: warum machen nahezu alle europäischen Polotiker mit? Viele von denen haben -anders als Merkel- auch eigene Kinder und Enkelkinder. Fühlen die keine Verantwortung wenigstens für die eigenen Nachkommen? Oder ist denen einfach egal, in welcher Welt die später leben müssen? (WHG)
Zur Abwechslung: EU und Griechenland
Europa ist tot - oder?
TTIP bringt nur Nachteile
40 % der deutschen Produktion wird ins Ausland verkauft - der Wert hat sich dank EU, weltweiter Öffnung von Märkten und sinkender Transportkosten binnen 20 Jahren verdoppelt. Märkte über Landesgrenzen hinweg immer weiter zu deregulieren, hat jedoch mehrere Haken: Die Gestaltungsfreiräume von Parlamenten und Regierungen werden kleiner, weil aufgrund eines steigenden Kostendrucks die Angebotsbedingungen der Unternehmen stets verbessert werden müssen. Dies führt u. a. zu sinkenden Unternehmenssteuern sowie schnelleren Genehmigungsverfahren.
Eine seit Jahrzehnten anhaltende Diskussion über Belastungen der Wirtschaft aufgrund von sozialer Fürsorge, führen zu verzweifelten Abwehrkämpfen von Gewerkschaften und Umweltschützern, doch Kritik am konkurrierenden Welthandel, der Ursache dieses Treibens, wird nur selten geäußert.
Zwar werden Freihandelsverträge willentlich geschlossen, doch die entfachte Kostensenkungsdynamik lässt sich hernach kaum mehr regulieren. Die Folge ist, dass Lohnzurückhaltung und Arbeitsverdichtung als naturwüchsige Übel erscheinen, um im weltweiten Konkurrenzkampf zu bestehen.
Dagegen ist es erklärtes Ziel von Flächentarifverträgen, in miteinander konkurrierenden Unternehmen zu vergleichbaren Lohnkosten zu kommen. Billigere und bessere Produkte sollen ihre Ursache nicht in stärker ausgebeuteten Beschäftigten haben, sondern in deren Kreativität.
Diese Zeiten hat der immer schärfere Standortwettbewerb weitgehend beendet; vor allem die Macht der Arbeitnehmer geht gegen Null, während der Anteil der Gewinneinkommen unaufhörlich steigt - weltweit.
Konkurrenzkampf ist gut - je mehr, desto besser - so das Credo der Wirtschaftswissenschaften, denn der Freihandel leiste einen großen Beitrag zum heutigen Wohlstandsniveau. Sonderbar nur, dass die Studienlage dazu uneinheitlich ist und selbst die Welthandelsorganisation in einer Literaturstudie bemerkt, dass die Auswirkungen gerade einer Öffnung und Deregulierung von Dienstleistungen schwer zu fassen wären.
Zur Begründung einer ambitionierten Freihandelszone mit den USA taugen nicht einmal die von den Befürwortern selbst in Auftrag gegebenen Studien. Sie müssen ein zusätzliches Wachstum im Promillebereich; und zusätzliche Arbeitsplätze im Zehntelpromillebereich;
als Erfolg verkaufen.
Konkret stellt sich eher die Frage, ob wir tatsächlich mehr Rindfleischimporte von US- oder kanadischen Bauern mit bis zu 120.000 Mastrindern pro Hof benötigen. Dies würde in Europa noch mehr industrialisierte Landwirtschaft erzwingen und den Druck auf die Löhne erhöhen.
Ist eine Entwicklung erstrebenswert, bei der Arbeit und Fleisch immer billiger werden - oder drückt das nicht vielmehr eine sinkende Wertschätzung gegenüber beidem aus? Gleichzeitig verkommt der ganze Erdball zu einer Abraumhalde, wogegen man aufgrund der ökonomischen Zwänge leider wenig machen könne. Sämtliche Weltklimakonferenzen scheiterten vor allem aus dem einen Grund: Kein Staat dieser Welt will seine Wirtschaft auch mit nur einem einzigen Cent stärker belasten als unbedingt nötig. Denn das könnte die Konkurrenzfähigkeit beeinträchtigen.
Wir zerstören lieber unseren Planeten, als uns um ein Handelssystem zu bemühen, das auf Kooperation und Vorsorge beruht und umweltschädlichen Transport reduziert und nicht immer weiter erhöht.Selbst wenn es im gegenwärtigen Wirtschaftssystem ökonomisch effizient ist, kann es nicht vernünftig sein, dass Ravensburger Äpfel in einem Ravensburger Supermarkt teurer als chilenische Äpfel sind.
Die Gegner der transatlantischen Freihandelszone sorgen sich mehr um die möglichen Inhalte des Vertrages als um die durch Freihandelsverträge generell verursachte Dynamik. So wird der öffentliche Druck evtl. aber nur zu der einen oder anderen Ausnahme im Vertragswerk führen (z. B. keine Wasserprivatisierung und keine Gen-Lebensmittel). Das Ziel, Märkte immer weiter zu deregulieren, erreichen die Verhandlungsführer trotzdem, weil die Ausnahmen bedroht bleiben, da sie regelmäßig überprüft werden sollen.
Sinkender Verbraucherschutz oder eine Verschlechterung von Hygiene- und Umweltstandards drohen nicht, weil dies explizit gefordert würde. Jeder Freihandelsvertrag versucht ganz allgemein grenzüberschreitend marktkonforme Regulierungen in immer mehr Bereichen der Gesellschaft zu verankern - was zwingend zu mehr Konkurrenzkampf führt, bei dem alles Kostenverursachende und Profite Beschränkende stört z.B: Bürgerbeteiligung, Vorsorgeprinzip, Umverteilung, Verursacherprinzip, Nachhaltigkeit, Regionalförderung, und natürlich Verbraucherschutz sowie Hygiene- und Umweltstandards.
Der weltweite Standortwettbewerb ist reaktionär. Er zersetzt gesellschaftliche Errungenschaften in der Hoffnung auf Handelsgewinne z. B. in Form von zusätzlichem Einkommen, das - wenn es überhaupt dazu kommt - immer weniger bei denjenigen ankommt, die es nötig haben.
Die EU wäre ein geeigneter Rahmen, um den Standortwettbewerb nach außen wie nach innen zu reduzieren und soziale und ökologische Gestaltungsoptionen zu mehren. Allerdings nicht mit Menschen an der Spitze, die kein Problem damit haben, wenn Amazon in Luxemburg Gewinnsteuern im einstelligen Prozentbereich bezahlt. Die Europäische Kommission müsste zu der Einsicht gezwungen werden, dass demokratische Verfahren dort funktionieren und reales Gewicht haben müssen, wo Menschen am ehesten bereit sind, Verantwortung zu übernehmen: In den Regionen, in denen sie leben. Auf Basis der Selbstbestimmung, die auch in den EU-Verträgen verankert ist, könnte man die Gestaltungskompetenzen der Regionen erhöhen, anstatt sie z. B. durch den Zwang zu internationalen Ausschreibungen zu drangsalieren und regionale Wertschöpfungskreisläufe zu zerstören.
Nur in einer Welt mit deutlich weniger Standortwettbewerb werden wir eine zukunftsfähige Entwicklung hinbekommen